Einige haben es im letzten Jahr vielleicht mitbekommen:

Der Münchener Stadtrat beschloss einstimmig, auf städtischen Gütern Medizinalhanf anbauen zu wollen, um die Versorgungssicherheit von Cannabispatient*innen gewährleisten zu können.

Ein sicherlich richtiger und leider auch notwendiger Plan – und das nicht nur in Bayern!

Also habe ich mich mit dem Initiator des Münchner Antrags in Verbindung gesetzt, ob ich seinen Text vielleicht einfach abschreiben darf, um den Antrag auch in Dortmund im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Gesundheit zu stellen.

Genau das habe ich dann auch getan (die Zahlen wurden natürlich geändert, weil Dortmund nun doch nicht ganz so groß ist wie München). Außerdem habe ich mich mit der Dortmunder Selbsthilfegruppe der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (kurz ACM) in Verbindung gesetzt, um mir noch einmal bestätigen zu lassen, dass die aktuelle Situation hier vor Ort tatsächlich so schlecht ist, wie ich von außen immer den Eindruck habe.

Am 17. September 2019 stand der Antrag dann endlich auf der Tagesordnung des Ausschusses. Abgestimmt wurde er an diesem Tag noch nicht, da die SPD zunächst um eine Stellungnahme der Verwaltung zur Sachlage bat, die für die nächste Sitzung zugesichert wurde.

Die Verwaltung legte also zu nächsten Sitzung eine Stellungnahme vor, zu der ich wieder einige Fragen stellte, der ich noch die Stellungnahme der ACM-Selbsthilfegruppe beifügte, die die Verwaltung dann wieder beantworten musste, bis der Antrag am 21. Januar 2020 dann endlich abgestimmt wurde.

Da es etwas mühselig ist, zwischen den einzelnen Dokumenten hin und her zu suchen, um die Fragen und Antworten, die sich auf einander beziehen, in die richtige Reihenfolge zu bringen, habe ich das im Anschluss mal bei einigen Punkten für Euch gemacht:

So meint die Verwaltung beispielsweise:

Medizinisches Cannabis wird vorrangig in den Darreichungsformen „Kapsel“ und „Tropfen“ vertrieben. Therapeutisch stellt dies wegen der exakten Dosierbarkeit regelmäßig die erste Wahl dar. Cannabisblüten zum Zwecke der Inhalation werden dann verschrieben, wenn „Kapseln“ oder „Tropfen“ nicht anwendbar sind, z. B. bei Schluckbeschwerden der Patienten*innen.

1. Stellungnahme der Verwaltung

Dazu habe ich dann noch einmal nachgefragt:

Laut einer Erhebung des BfArM sind ca. 70% der Cannabispatient*innen Schmerzpatient*innen. Unter Schmerzpatient*innen sind Cannabisblüten die am zweithäufigsten verschriebene Arzneimittel, ca. jede 5. Patient*in ist betroffen. Diese Zahlen beziehen sich auf ganz Deutschland.
Gibt es Erhebungen dazu, wie die Situation sich vor Ort in Dortmund gestaltet?
Falls es diese nicht gibt, wäre es möglich, diese Daten in Zukunft zu erheben?

Nachfrage von mir

Und die Verwaltung hat geantwortet:

Nein, es gibt keine Daten zu Schmerzpatienten*innen, die das Gesundheitsamt erhoben hat. Es gibt auch keine Rechtsgrundlage für eine solche Datenerhebung. Eine Datenerhebung in Zukunft ist nicht möglich. Die Überwachung durch das Gesundheitsamt beschränkt sich auf die korrekte Verschreibung von Betäubungsmitteln, zu denen auch Cannabis gehört. Diagnosen, und damit die Indikation für die ärztliche Verordnung von Cannabis, dürfen nicht überwacht werden.

2. Stellungnahme der Verwaltung

Ok. Ich würde das dann eher so formulieren:

„Besonders gerne werden Tropfen und Kapseln verschrieben. Blüten werden nicht ganz so oft verschrieben. Wie das hier in Dortmund ist, ist nicht bekannt.“

Vielleicht geht es nur mir so, aber ich würde ja dann sagen:
Die Information ist irrelevant.
Aber vielleicht geht das ja nur mir so…

Außerdem informierte die Verwaltung mich:

Ein Versorgungsmangel besteht in Dortmund nicht. Formal müsste ein Versorgungsmangel aufgrund arzneimittelrechtlicher Regelungen durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bekannt gegeben werden. Eine entsprechende Bekanntgabe durch das BMG ist für medizinisches Cannabis nicht erfolgt.

1. Stellungnahme der Verwaltung

Das hat mich ja auch irgendwie irritiert. Damit ein Versorgungsmangel entstehen kann, muss ein Lieferengpass existieren. Das führte bei mir zu folgender Frage:

Stimmt es, dass Lieferengpässe von Arzneimittelrohstoffen dem BfArM nicht gemeldet werden müssen und dass es sich bei Cannabisblüten um einen solchen Arzneimittelrohstoff handelt? Ab wann besteht offiziell ein Lieferengpass?

Nachfrage von mir

Die Antwort darauf war nicht wirklich überraschend:

Ja, Lieferengpässe werden nur für Fertigarzneimittel von deren Hersteller freiwillig an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet. Ein Lieferengpass ist definiert als „eine über voraussichtlich 2 Wochen hinausgehende Unterbrechung einer 2 Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann“. Cannabisblüten sind kein Fertigarzneimittel, sondern ein von den Apotheken auf geeignete Qualität zu überprüfender Rohstoff zur weiteren Verarbeitung.

2. Stellungnahme der Verwaltung

Hinzu kam dabei aber auch noch folgender Umstand:

Laut einer Anfrage der Linken im Bundestag wurden 2018 nur 3,1 Tonnen an Medizinalcannabis eingeführt, obwohl aber Genehmigungen für den Import von insgesamt 42,8 Tonnen vorlagen. Dies hat eine ausreichende Versorgung natürlich unmöglich gemacht. Laut Patient*innenaussagen hat sich die Lage in Dortmund auch in diesem Jahr im Vergleich zu den letzten beiden zumindest gefühlt nicht wirklich verbessert.
Gibt es Belege dafür, dass die Versorgung vor Ort aktuell ausreichend ist?

Nachfrage von mir

Auch hier ist mir die Verwaltung natürlich keine Antwort schuldig geblieben:

Es gibt keine Belege. Das Gesundheitsamt kennt aus der Überwachung der Apotheken die eher geringe Nachfrage nach Cannabisblüten in Dortmunder Apotheken. Laut Aussagen der Apothekenleitungen bei der Überwachung durch das Gesundheitsamt ist eine Versorgung der Patienten*innen derzeit nicht gefährdet

2. Stellungnahme der Verwaltung

Oder anders formuliert:

„Wenn es Lieferengpässe geben sollte, werden diese nicht gemeldet. Da keine gemeldet wurden, gibt es keine. Oder wir wissen nichts davon. Wir haben also eigentlich keine Ahnung, weil wir auch keine haben können.
Belege haben wir auch keine für die Versorgungssicherheit. Aber die Apotheker, die laut Aussage der Patient*innen kein Cannabis verkaufen wollen, sagen, dass alles gut ist! „

Das hätte man natürlich auch gleich sagen können…

Aber wie auch immer, die Verwaltung hat ja auch noch folgendes zu berichten:

Unabhängig davon hat der Amtsapotheker des Gesundheitsamtes im Rahmen seiner Überwachungsaufgaben festgestellt, dass medizinisches Cannabis in den Dortmunder Apotheken in allen Darreichungsformen vorrätig ist.

1. Stellungnahme der Verwaltung

Das hat mich ein bisschen überrascht, weil meine eigene Recherche anderes vermuten lies. Also habe ich auch da nochmal nachgehakt:

Laut einer tagesaktuellen Online-Abfrage diverser Apotheken in Deutschland (leider ist uns keine Dortmunder Apotheke bekannt, die über eine solche Abfragefunktion verfügt) sind in keiner von diesen alle Cannabissorten verfügbar, die dort theoretisch im Programm wären.

Auch in der im Schreiben der AMC Selbsthilfegruppe erwähnte Apotheke in Werl sind nicht alle dort gelisteten Sorten verfügbar.

Hat die Stadt Dortmund Informationen darüber, welche Sorten in welchen Dortmunder Apotheken zu Verfügung stehen bzw. wie schnell diese lieferbar sind?

Nachfrage von mir

Darauf die Stadt:

Nein, diese Daten werden nicht strukturiert erhoben. Das Gesundheitsamt kennt jedoch aus der regelmäßigen Überwachung der Apotheken die Verfügbarkeit von Cannabisblüten. Apotheken sind gesetzlich verpflichtet, Arzneimittel in einer Menge vorrätig zu halten, die mindestens dem durchschnittlichen Bedarf für eine Woche entspricht. Da Cannabis eher selten verordnet wird, ist eine Vorratshaltung in allen Apotheken nicht gesetzlich verpflichtend. In Dortmund sind Cannabisblüten in einigen Apotheken vorrätig, da sie dort häufiger angefragt wurden. Die Vorratshaltung bezieht sich natürlich auf die angefragten Sorten von Cannabisblüten, nicht auf das gesamte Angebot der Sorten von Cannabisblüten.

2. Stellungnahme der Verwaltung

Oder anders formuliert:

„In ein paar Apotheken gibt es ein bisschen was von ein paar Sorten. Aber so genau wissen wir das auch nicht, weil wir da keine strukturierten Daten erheben.“

Aber die Verwaltung hat ja noch ein Ass im Ärmel:

Zur Vollständigkeit darf ich Sie noch darüber informieren, dass auch ein in Dortmund ansässiges Pharmaunternehmen medizinisches Cannabis produziert. Die Produkte werden ab April 2020 in den Handel kommen.

1. Stellungnahme der Verwaltung

Um ehrlich zu sein: Auf Anhieb hat sich mir nicht erschlossen, was diese Aussage mit meinem Antrag zu tun haben sollte. Ich habe also nachgefragt:

Gibt es eine spezielle Vereinbarung o.ä. zwischen Dortmunder Ärzt*innen oder Apotheker*innen und der HAPA Pharm GmbH oder ist davon auszugehen, dass diese nach einem möglicherweise erfolgten Anbau wie allgemein üblich das ganze Bundesgebiet beliefern wird?

Nachfrage von mir

Und ich habe eine Antwort bekommen:

Es gibt derzeit keine solche Vereinbarung.

2. Stellungnahme der Verwaltung

Oder anders formuliert:

„Das hatte zwar nichts mit dem Thema zu tun, aber wir wollten das einfach mal erzählen.“

Zum Schluss der ersten Stellungnahme kommt die Verwaltung also zu folgendem seltsamen Ergebnis:

Insofern kommt das Gesundheitsamt in Bezug auf den ergänzenden Prüfauftrag aus der Sitzung des Ausschusses für Soziales, Arbeit und Gesundheit am 17.09.2019 zu dem Ergebnis, dass die Implementierung eines Runden Tisches zum Thema „Versorgungssicherheit von Cannabispatienten*innen auf der kommunalen Ebene“ nicht vorgeschlagen werden kann.

1. Stellungnahme der Verwaltung

Ich war erstaunt, dass so ein Runder Tisch nicht vorgeschlagen werden könne. Ich hatte es ja schon getan und war dazu als reguläres Mitglied des Ausschusses auch durchaus berechtigt! Natürlich kann man den Antrag dann ablehnen oder auch feststellen, dass eine Umsetzung aus (rechtlichen) Gründen doch nicht möglich ist – aber vorschlagen kann man das durchaus.

Ich vermute, die Übersetzung lautet eigentlich:

„Wir wollen das nicht. Beschließt das nicht!“

Dabei sagten eigentlich alle Antworten der Verwaltung das gleiche aus:
Es ist nicht bekannt, wie viele Menschen in Dortmund überhaupt betroffen sind und zur Lage gibt es keine Daten.

Oder kürzer: Keine Ahnung.

Das sollte der letzte Satz in der 2. Stellungnahme dann vermutlich noch einmal unterstreichen:

Bei einem Arzneistoff, der auf dem Feld angebaut wird, ist die Verfügbarkeit immer auch von der Ernte abhängig und kann nicht kurzfristig beliebig erhöht werden.

2. Stellungnahme der Verwaltung

Medizinalhanf auf dem Feld.
Ah ja.
Wir kennen ja alle die Bilder von den üppigen Hanffeldern im sonnigen Kanada…

Vielleicht liegt hier eine Verwechslung mit Wein vor:
Bei dem mag es spannend sein und quasi dazugehören, dass jeder Jahrgang sein individuelles Aroma hat und ein bisschen anders schmeckt.

Medizinisches Cannabis hingegen ist ein verschreibungspflichtiges Medikament. Da sind Schwankungen in der Zusammensetzung unzulässig. Aus diesem Grund wird es in Gewächshäusern unter immer gleichen Bedingungen angepflanzt. Damit die Patient*innen immer das gleiche Medikament erhalten können.

Aber wie auch immer:
Nachdem die Verwaltung nun ausführlich dargestellt hatte, dass sie eigentlich keine Ahnung hatte, wie Lage vor Ort aussah, sie aber kein Cannabis auf städtischem Grund anbauen wolle, hatte ich den Antrag in der letzten Sitzung dann ziemlich reduziert.

Geblieben war eigentlich nur ein Satz:

Die Verwaltung wird beauftragt, gemeinsam mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern, Gruppierungen und Institutionen einen Runden Tisch zum Thema „Versorgungssicherheit von Cannabispatient*innen auf der kommunalen Ebene“ einzuberufen.

Text des mündlichen Antrags

Denn selbst wenn man vor Ort keinen Anbau wünscht, war ja doch offensichtlich geworden, dass es da eine Schieflage gab. Die Einschätzungen der Situation von Apotheken auf der einen und Patient*innen auf der anderen Seite war mittlerweile ja mehr als deutlich geworden.

Der Ausschussvorsitzende hatte selbst in einer der vorangegangen Sitzungen angemerkt, dass sie Situation für Patient*innen wohl desolat sei.

Unter diesen Voraussetzungen würde es sicher Sinn machen, die beteiligten Gruppierungen gemeinsam an einen Tisch zu bringen, damit diese gemeinsam nach Lösungen oder zumindest Verbesserungen suchen könnten.

Die Stadtverwaltung teilte mir in der Sitzung allerdings mündlich mit, dass so ein Runder Tisch ja keine Pflichtaufgabe des Gesundheitsamtes wäre. Würde man das machen, könne man anderen Aufgaben, die ja dann tatsächlich Pflichtaufgaben wären, nicht mehr nachkommen!

Dieser Hinweis hat mich ein wenig erschreckt.
Mir ist gar nicht bewusst gewesen, dass das Gesundheitsamt so sehr am Limit arbeitet!

Denn angenommen, man würde so einen runden Tisch ein einziges Mal veranstalten, wie viel Arbeitskräfte würde das wohl wie lange binden und von anderen Aufgaben abhalten? Wenn es selbst dafür nicht reichen würde, muss die Situation dort ziemlich mies sein…

Der Ausschussvorsitzende wies mich dann noch einmal darauf hin, dass man mir von Seiten der Verwaltung mit dieser Aussage habe eine Brücke bauen wollen, damit ich den Antrag elegant zurückziehen könne.

Auch diese Aussage war mir ehrlich gesagt ein wenig rätselhaft.
Wir haben in Dortmund ein Fußballmuseum. Das ist keine Pflichtaufgabe. Im nächsten Sommer bekommen wir Blumenampeln in der City. Auch das ist keine Pflichtaufgabe.

Mir wäre neu, dass der Rat und seine Ausschüsse nur über Pflichtaufgaben entscheiden. Bisher wurde das nicht so gehandhabt.

Aber auch die CDU hatte noch etwas wichtiges beizutragen:
Die Krankenkasse übernehme ja nach wie vor nicht in allen Fällen die Kosten für das vom Arzt verordnete Cannabis. Dies geschehe ja nur auf Antrag und sei eine Einzelfallentscheidung.

Ich persönlich würde ja sagten, dass das ein Grund für den ursprünglichen Antrag war. Denn wenn Menschen ein Medikament vom Arzt verordnet, aber nicht von der Krankenkasse bezahlt bekommen, ist es erst recht wichtig, ihnen nicht nur Zugang zu ihrem Medikament zu gewähren, sondern dabei auch nicht wörtliche Apothekenpreise zahlen zu müssen.

Das Ende der Abstimmung war jedenfalls ernüchternd:
Außer meiner linken Fraktionskollegin hat niemand dem Antrag zugestimmt.

Auch nicht die Grünen und auch nicht die Fraktion FDP/Bürgerliste.
Vielleicht solltet Ihr das für die Kommunalwahl im September im Kopf behalten…

Sonst bleibt Euch nur eins, wenn Ihr aus medizinischen Gründen Cannabis konsumieren müsst: Zieht doch aus der „Inovationsstadt“ Dortmund (Ihr wisst schon: „Dortmund überrascht. Dich.“ und so…) ins beschauliche Bayern auf’s Land…

Und wenn das für Euch nicht in Frage kommen sollte, vergesst wenigstens nicht, dass im Mai wieder Global Marijuana March ist!

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